Ephraim-Projekt

Region im Wandel: Luftaufnahme der Tagebau Rekultivierung am Senftenberger See
Das »Ephraim-Projekt« verdankt seinen Titel dem zweiten Vornamen des in der Lausitz geborenen Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) sowie dessen etymologischer Bedeutung:

Das hebräische »Ephraim« bedeutet ja »doppelt fruchtbar« und so soll eine kulturelle Nachhaltigkeit Ausdruck finden. Das Festivaljahr 2022 lief unter dem Inspirationswort »aufBruch«, und so wurden zwei junge Autoren der UdK Berlin, Anton Dudda und Maximilian Rummel, eingeladen aufzubrechen, um aus ihrer Reise in die Lausitz und zum Festival Impulse zu generieren, die in den nächsten Monaten zu dramatischen Texten reifen. Diese werden dann im Rahmen des Lausitz Festivals 2023 präsentiert.

Hier ihre Reisebeschreibung:

 

Unterwegs in der Lausitz ...

  • Wir sind ja damals nicht gleichzeitig in Weißwasser angekommen, oder? War das nicht der Tag, an dem die Regio-Verbindung nach Cottbus gesperrt war?
  • Ich kam vom Ostkreuz, du hattest dich irgendwie im SEV in Königs Wusterhausen verheddert und warst am Ende trotzdem vor mir da. Außerdem schien die Sonne ...
  • Sie schien lange, doch wenn ich über den ersten Tag nachdenke, ist es vielmehr dieses rote Licht in der Nacht, das die Fassaden der Glasfabrik erhellte, an das ich mich erinnere.
  • Es war sehr heiß, und es lief die Festival-Inszenierung von »Caesar«, die inzwischen am Hamburger Schauspielhaus zu sehen ist. Irgendwie war es wirklich, als käme ein großes römisches Theater mit all seinem Pomp in die gallische Provinz.
  • Das war unser erstes Kennenlernen des Festivals, nicht? Am nächsten Tag sind wir dann gleich aufgebrochen nach Cottbus …
  • Ja, aus irgendeinem Grund sind wir saufrüh aufgestanden. Warum mussten wir überhaupt so früh los?
  • Das war wegen unseres Guides Manfred, der uns in seinem SUV einfach das gesamte Cottbusser Umland gezeigt hat: Tagebaugruben, Baggerseen, Freilichtmuseen und tausende Findlinge. Ich wusste gar nicht, dass Findlinge an sich so ein Ding sind in der Lausitz. Schon diese ganze ökologische Transformation lässt auf eine komplexe Struktur der Region schließen.
  • Manfred war ein richtiger Frühaufsteher; er kam uns auch standesgemäß in seiner Original-Uniform abholen (aus dem ersten bügelfreien Stoff der Welt oder so). Es war noch immer wahnsinnig warm, und das Wasser, das in die Tagebaue floss, schien schneller zu verdunsten, als es ansteigen konnte.
  • Was allerdings anstieg, war die Stimmung vor dem Heimspiel des FC Energie Cottbus.
  • 4:0 gegen Meuselwitz. Und dafür, dass es nur so um die 3000 Zuschauer waren, ging das ganz ordentlich ab. Wir saßen in der ersten Reihe im Familienblock, und ich hab’ sogar einmal einen Ball gefangen!
  • Und natürlich nicht zu vergessen, als wir im Café saßen und du von einem Passanten mit voller Überzeugung als Christoph begrüßt wurdest.
  • Selbst als ich ihn perplex angeschaut habe, hat er sich nicht entschuldigt oder so. Ich weiß jetzt also, dass es in der Lausitz jemanden namens Christoph gibt, der mir extrem ähnlichsieht. Ich hätte jetzt also die Möglichkeit, mich Avatar-mäßig mit neuer Identität unter die Einheimischen zu mischen. Könnte nur spooky werden, wenn ich dem echten Christoph begegnete …
  • Von der »Großstadt der Lausitz« sind wir dann mehr oder weniger aufs Land weitergezogen. Nach Senftenberg. Dort mussten wir etwas warten mit dem Einchecken in das Hotel. Dadurch sind wir diesem Mann begegnet mit der Wollweste (trotz gefühlter 35 °C!), der auch vom Festival gehört hatte – aber nur, weil Flyer in den Zügen hingen.
  • Ich weiß nicht, ob es Senftenberg gefallen würde, als »Land« bezeichnet zu werden; immerhin haben die dort einen wirklich schönen See mit sehr moderner Uferbebauung, wo wir schick italienisch essen waren. Chianti mit Blick auf den See und dem Kraftwerkqualm am Horizont.
  • Anschließend dann von Brandenburg nach Sachsen. Du hattest ja in Senftenberg bereits in dieses Buch reingelesen.
  • »Kinder von Hoy« – das war auch wirklich gut, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen. Aber auch ohne die Geschichten aus dem Buch, war Hoyerswerda für mich die eindrücklichste Station. Dort haben wir Uwe kennengelernt, der uns herumgeführt hat!
  • Die Transformation der Stadt vom Vorzeigeprojekt eines vergangenen Staates zu einem dunklen Punkt der jüngeren Vergangenheit ist wirklich bemerkenswert.
  • Und Uwe war immer irgendwie dabei und versucht, die Dinge besser zu machen. Er hat uns ganz genau gezeigt, wo der Jugendclub stand, den er zu DDR-Zeiten mitgeführt hatte – gar nicht weit entfernt von den Blöcken, in denen es 1991 zu den Naziübergriffen kam. Ein wirklich unheimliches Gefühl, dort zu stehen; alles scheint noch genauso auszusehen wie damals.
  • Wir sind aber noch einen Tag zurück nach Brandenburg gefahren, obwohl »fahren« dafür das falsche Wort ist.
  • Nee, »fahren« ist genau das richtige Wort, wenn du auf unser Ballon-Abenteuer anspielst. Denn jedes Mal, wenn man »fliegen« statt »fahren« sagt, habe man einen Kasten Bier an die Firma zu stiften, belehrte uns unser Kapitän nach der Landung in Grünewald.
  • Aus der Luft sah man sehr genau die Wechsel von offenen Tagebauen zu Baggerseen. Doch ich fand es schwer, mir vorzustellen, wie es hier in einigen Jahren aussehen wird, wenn der letzte Tagebau mit Wasser gefüllt sein wird. Die Zeit verging wie im Flug – obwohl ja »fliegen« das falsche Wort ist.
  • Die nächtliche Fahrt mit dem Jeep zurück nach Schwarzkollm fühlte sich dann jedenfalls so richtig nach Safari an.
  • Und dann ging es schon weiter nach Görlitz. Dieser verrückten Stadt zwischen sozialistischem Plattenbau in Polen und barocken Stadthäusern in Deutschland.
  • Und sehr authentischer slawischer Küche! Also zumindest stand das so auf der Karte. In Görlitz waren wir dann direkt mehrere Tage und sind endlich so richtig angekommen, auf einen Turm gestiegen, haben uns die Stadt erlaufen und viel Kaffee und Kuchen konsumiert. Nicht zu vergessen die vier sehr alten Männer in der Kneipe, die mit der ebenfalls sehr alten Band zusammen »Sandmännchen« gesungen haben. Hätte nicht gedacht, dass mir bei deutscher Folklore mal so warm ums Herz werden könnte. Mein Festival-Höhepunkt war aber der Flamencoabend mit Marina Heredia im Stadttheater, das war einer der spektakulärsten kulturellen Brückenschläge, die ich je gesehen habe und wirklich großartig!
  • Wir waren dann noch einmal kurz in Weißwasser für die »Candide«-Vorstellung, ehe wir am letzten Tag nach Pulsnitz fuhren, um in Kamenz die CITY-Abschiedstour zu sehen – in einem Amphitheater! Es hat mich wirklich überrascht, dass dort ein Amphitheater im Wald ist.
  • Es liegt ja sogar auf einem ziemlich steilen Hügel, fast wie ein vulkanartiger Krater. Und erstaunlich groß dafür, dass Kamenz eher übersichtlich ist. Und witzig war auch, wie deutlich wir die jüngsten im Publikum waren. Außer uns gab es nur eine Handvoll Menschen im Studi-Alter und ein paar Kinder. Der Rest war eher 50 und älter, aber sehr gerührt und begeistert. Manche haben sogar getanzt – also so richtig standardmäßig in Paaren!
  • Und auf der Rückfahrt haben wir dann pünktlich deinen Geburtstag im Regio gefeiert. Den Sekt hatte ich allerdings vergessen …
  • Wir hielten grade in Horka und draußen war es stockfinster. Auf jeden Fall mal etwas anderes und ein sehr schönes Ende. So sehr es zu Beginn unserer Reise in Weißwasser noch hochsommerlich heiß war, wurde das Wetter bis zur Rückfahrt doch schon richtig herbstlich. Wir haben den Sommer in der Lausitz verabschiedet.
  • … und viele interessante Eindrücke mitgenommen! Und inzwischen haben wir schon mehrfach gesprochen (bei einer Haxe und einem Steak), wie unsere Theatertexte für das Festival aussehen könnten. Ich freue mich schon darauf, der Lausitz dann auch in unseren Zeilen wiederzubegegnen!  

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